Jetzt klemmt doch tatsächlich der Reißverschluss meiner Jacke. Verdammt, das gibt’s doch nicht. Und wie ich so, fast schon verzweifelt, krampfhaft versuche, an meinen selbstgebastelten Böller zu kommen, glaube ich die Blicke zu erspüren aus meinem direkten Umfeld, die auf mich gerichtet sind. Ich verharre.
In diesem Augenblick scheint die Zeit plötzlich stehen geblieben zu sein. Ich sehe mich in einer Art Lichtkegel. Es herrscht Stille. Alles ist regungslos, wie eingefroren, auch Kayvan oben auf der Bühne. Er lächelt mich liebevoll an.
Im nächsten Augenblick zerplatzt diese Illusion wie eine Seifenblase. Nichts um mich herum hat sich verändert. Das Licht im Saal ist nach wie vor heruntergedimmt. Alle schauen freudig auf die Bühne und lauschen hingebungsvoll den Ausführungen des Vortragenden, hängen gebannt an dessen Lippen.
Auch ich sitzt einfach nur da und starre nach oben, werde mir des vergeblichen Versuches, die Jackentasche zu öffnen, bewusst. Verstaue die Jacke nun achtlos unter meinem Sitz und wundere mich darüber, mit welcher Gelassenheit dies geschieht. Kein inneres Aufbäumen, kein Groll oder negative Emotionen durchfluten mich, weil mein Ansinnen blockiert wurde, es diesem Kerl da oben einmal zu zeigen. Nein, genau das Gegenteil geschieht, so eine Art Fügung muss das wohl sein, dass die Dinge genau so geschehen, wie sie sich ereignen.
In diesem Moment erkenne ich, dass in mir wohl eine Wandlung stattgefunden hat, gegen die ich nicht ankämpfe, auch nicht ankämpfen möchte. Ist das etwa der vielzitierte Gleichmut, von dem ich schon so oft gehört, ihn aber bislang nicht verstanden habe?
Jetzt richtet sich mein Blick wieder nach außen. Ich schaue auf die Bühne hinauf und lausche wieder seinen Worten. Versuche, seinen Ausführungen zu folgen, was leider nicht immer gelingt, mich aber trotzdem nicht verstimmt. Schon ein seltsames Gefühl, das sich bei mir eingeschlichen, sich geradezu manifestiert hat.
Es geht bei diesem vorgetragenen Kapitel um den „Kampf um unser Gehirn“ mit der unschönen Aussicht, dass selbstständiges Denken wohl zukünftig kriminalisiert werden könnte. Sehr schön präsentiert und untermalt mit bunten Erklärungsmodellen, was bei mir dazu führt, sich diesen Gedanken anzuschließen.
Dann das nächste Beitrag, bei dem es um die Weltherrschaft geht, im Mittelpunkt die herzensguten USA, welche natürlich nie im Eigeninteresse handelt, wenn sie gerade etwas im Schilde führt. Ja, etwas Ironie schadet nicht, diese Ausführung kann ich ebenfalls nachvollziehen.
Schon ist er beim nächsten Kapitel. Die Zeit scheint im Fluge zu zerrinnen. Der folgende Abschnitt fügt sich nahtlos an den vorherigen. Er handelt von der Exit-Strategie, dem Ausstieg aus der Propaganda-Matrix, dem Weg weit fort von den präsentierten Lügen-Märchen, hin zur Wirklichkeit. Auch hier bin ich d’accord, kann ich seine Botschaft nachvollziehen.
Und dann lässt er die Bombe platzen, nennt es die R-Evolution. Dabei geht es um die „Abkehr vom Materialismus, hin zur spirituellen Revolution“. Es geht um die kosmischen Gesetzmäßigkeiten wie Bewusstsein, Polarität und Resonanz, welche er umfassend erklärt. Das gefällt mir, damit gehe ich selbst in Resonanz. Zum Abschluss zaubert er noch eine Vision hervor, die er Demutkratie nennt, in der alles Leben auf unserem Planeten geachtet und respektiert wird.
Wummps, mit seinem letzten Wort ertönt lauter instrumentaler Sound aus den Lautsprechern, rhythmisch und dynamisch. Er springt spontan von der Bühne und fängt an zu tanzen. Sofort scharrt sich das Publikum um ihn und stimmt sich tänzerisch ein in den Fluss der Klänge. Ich schnelle ebenso von meinem Sitz empor und übergebe mich dem Sog der tanzenden Körper. Unerwartet taucht er plötzlich direkt vor mir auf. Unsere Blicke treffen sich, ein Leuchten in den Augen, eine Verschmelzung der besonderen Art. Unmerklich von außen, aber dafür umso intensiver.
Aber es zieht mich jetzt fort von hier. Ich nehme meine Jacke und entschwinde nach Draußen. Vor der Halle entschleunige ich mich und versuche zu begreifen, was hier gerade geschehen ist. Ich schlendere durch die Straßen in dieser finsteren Nacht, hinterfrage, wer denn jetzt eigentlich der tatsächliche „Wolf im Schafspelz“ sei, wobei sich die Antwort darauf bei mir zweifellos verinnerlicht hat.