JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


Ich war am Montagabend im tiefen Schwarzwald zu einer Zusammenkunft mit Gleichgesinnten eingeladen. Zuvor wollten wir uns in einem Herrschaftshaus treffen, um von dort gemeinsam in einem Restaurant speisen zu gehen. Unsere Begegnung war fruchtbar, aber davon möchte ich nicht berichten, sondern, was sich zuvor im Herrschaftshaus abgespielt hatte.
Es war also noch etwas Zeit, genug Zeit, um sich dem Haus und seinen Bewohnern intensiv zuzuwenden. Und dort, in einem wunderschön barock dekorierten Raum, nennen wir ihn Begegnung-Saal, saß oder vielmehr lag eine ältere Dame in einem Sessel und lauschte in sich gekehrt. Ich stellte mich vor und sie sah mich gnädig an, winkte mich zu sich, um mir ihre Hand so zu reichen, dass ich diese, in kostbarer Seide gehüllt, küssen konnte.
Diese Zeremonie kam mir irgendwie bekannt vor, ich glaube, von englischem Hofe und so beugte ich mich diesem gern und vollbrachte diesen Akt in festlicher Unterwürfigkeit.
Wir kamen dann gleich ins Gespräch, da wir ja jetzt schon fast Freunde waren, und sie erzählte mir von sich, dass sie Anna hieße, gerne Gin trinke, derzeit hier als Gast residiere, dieses Jahr 93 Jahre alt würde und noch ein paar Geheimisse, die ich für mich behalten solle.
Und so in Stimmung gebracht, schilderte sie mir ein paar seltsame Anekdoten aus ihrem bewegten Leben. Und was sie kundtat, hatte alles irgendwie mit Serpentes, mit Schlangen sozusagen, zu tun.
Da war die Geschichte aus Texas, als sie eines ihrer Kinder besuchte und deren Kinder zum Festmahl Klapperschlangen mitbrachten, die sie braten wollten. Sichtlich erregt über dieses Gebaren, kam eines ihrer Enkel auf sie zu und beschwichtigte sie mit den Worten: „Oma, gut!“. Wie sie letztendlich auf die Schlangenspeise reagiert hatte, blieb im Dunkeln.
Dann die Geschichte, welche sich auf einem anderen Kontinent abspielte, ich glaube, es war Australien, in einer kirchlichen Prozedur, als der Klingenbeutel durch dir Reihen ging. Dieser samtene Stoffbeutel mit einer bronzenen Öffnung hatte nur einen sehr kleinen Spalt für die Kollekte. Und als dieser bei ihr ankam und seinen Tribut forderte, fühlte er sich etwas seltsam an. Neugierig geworden, öffnete Anna ihn etwas und erschrak fast zu Tode. Darin befand sich eine kleine Schlange, die Bewacherin der Kollekte. Schnell reichte sie den Klingenbeutel weiter und fasst seitdem keinen mehr an.
Eine letzte, wahre Geschichte aus Indien, als man bei einer Feier des Nachts von Königkobras umzingelt wurde, welche sich bei den Festlichkeiten dazugesellen wollten. Unbeirrt schlängelten sie sich durch das Gelage, die Stühle und auf das Tanz-Parkett. Dort oben, so erzählte mir Anna, züngelten sich zwei Kobras im Rausche der Musik und der dort Tanzenden, beinahe unbeobachtet von den geladenen Gästen. Es war für sie ein unvergessliches Erlebnis, wobei sie immer darauf bedacht war, eine gewisse Distanz zu diesen Kreaturen zu wahren.
Dann war es Zeit für mich zu gehen, eine Verabschiedung in Würde und ich lächle innerlich noch heute, wenn ich mich an sie erinnere: „Oma, gut.“