Schlaftrunken wälze ich mich aus dem Bett, ziehe meine Pantoffeln an und hangeln mich zum Fenster hin, reiße kräftig am Rollladengurt und lächle freudig dem angebrochenen Tag entgegen. Mit einem unbestimmten, tiefen Gefühl der Erwartung glimmt in mir die Hoffnung auf, dass mir heute ein sonniger Tag beschert werden könnte. Für einen kurzen Moment belohne ich mich durch das Vergessen der unsäglichen Gegebenheiten des Seins, das mich täglich wie eine düstere Wolke umhüllt.
Aber nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick des Loslassens. Ich will es nicht zulassen, will das Düstere nicht nähren, das mich gefangen hält in seinen Klauen. Zu spät, es hat mich erfasst, wie all die Tage zuvor und lächelt mich mit seinen kalten Augen an. Wehrlos stehe ich diesem Monster gegenüber, das sich in meinem Geist verkörpert hat, der wohl einst einmal unschuldig gewesen sein mag.
Im Banne dieses lichten Nebels gehe ich ins Badezimmer, um mich ein wenig zurechtzumachen, mich anzuhübschen, um bei allen Begebenheiten des heutigen Tages den Schein wahren zu könne. Ich schaue in den Spiegel und betrachte mein Konterfei. Was ich dort sehe, befremdest mich etwas. Das bin also ich. Ein Hauch von Zweifel packt mich und bevor ich mir zu nahetrete, nehm ich Reißaus.
Hach, der Tag wird schön und ich will ihn genießen. In der Küche angelangt, bereite ich mir mein Frühstück zu, zelebriere dabei mein morgentliches Ritual, das mir Halt gibt, die Struktur vorbereitet, wie mein heutiger Tag gestaltet werden könnte. Ja, das schafft Klarheit und dieses Bewusstsein, alles Kommende irgendwie hinzukriegen, vollkommen egal, wie es auch immer daherkommen sollte.
Neugierig, was den so gelaufen ist, schau ich mir die Nachrichten an und höre erstaunt, was gestern erst einmal so angeklungen ist. Da wurde in Mannheim ein Polizist in Ausübung seiner Arbeit niedergestochen und ist jetzt an seinen Verletzungen erlegen. Wer war eigentlich sein Mörder? Der mutmaßliche Täter, wie es so unschuldig heißt, war ein 25-jähriger Afghane, der sich genötigt sah, ein Blutbad anzurichten aus Glaubensgründen, bei dem sechs Menschen verletzt wurden. Einer davon war der Polizist.
Was lief da eigentlich in Mannheim. Es war eine kleine angemeldete Aktion eines Herrn Stürzenberger gegen den radikalen Islam, das den Attentäter wohl veranlasste, dem ein Ende zu setzen. Man höre und staune, dass gerade die Leute, welche den Islam als potentielle Gefahr anprangern, selbst teilweise vom Verfassungsschutz überwacht werden. Erschließt sich mir nicht sofort, aber Logik war wohl noch nie meine Stärke.
Nochmals zurück zum Mörder. Man spricht von einer vorbildlichen, gelungenen Integration in Deutschland, obwohl sein Asylantrag damals abgelehnt worden ist und er seither von Sozialhilfe lebt. Und man wusste von seinem gewaltbereiten Ansinnen aus dem Internet. Was mich etwas stutzig macht, ist die mediale Verlautbarung der Provokation, die zu dieser Tat geführt hat. Das wird wohl ähnlich gewertet wie die Vergewaltigung einer Frau, wenn sie sich anzüglich gekleidet hat.
Schwamm drüber- war nur so ein Gedanke. Ich habe heute Nachmittag freigenommen, um bei der „Demo gegen Rechts“ dabei sein zu können, deren Anlass der Polizistenmord ist. Nun stehe ich in den Reihen der Gutbürger und schreie es mir von der Seele, gegen dieses Ungemach der Rechten. Die glauben doch tatsächlich, sie wären im Recht und Deutschland gehöre den Deutschen.
Da fällt mir gerade ein, dass ein paar betrunkene Schnösel vor ein paar Tagen auf Sylt auch diesen Spruch gegrölt hatten mit dem Zusatz „Ausländer raus“. Die Wahlkampf-Parole der SPD mit dem Spruch „Deutschland den Deutschen“ hatte keine Konsequenzen für die Verantwortlichen. Die fröhlich Feiernden aber wurden öffentlich hingerichtet als Nazis. Irgendwas passt da nicht in meinem Weltbild. Es ist die Verhältnismäßigkeit. Ja, das ist es, dieses zweierlei Maß.
Und während ich so durch die Straßen ziehe mit meinen Mitstreitern und mich in deren Parolen gegen Rechts einstimme, überkommt mich ein seltsames Gefühl, das mich nicht mehr loslässt. Was mache ich hier überhaupt? Wenn ich nachher wieder Zuhause bin, werde ich mich einmal ins stille Kämmerlein setzen und Klarheit schaffen, was hier wirklich gespielt wird. Das ist wohl wieder so ein Tag, an dem ich lieber im Bett geblieben wäre.