Es gibt viele Wege, sich auf die Schliche zu kommen, aber grundsätzlich nur zwei Perspektiven. Da gibt es die Ausrichtung, sich als Beobachter zu üben oder einzutauchen und das Beobachtete selbst zu sein. Schauen wir uns diese zwei Standpunkte einmal genauer an.
Emotionen zeigen deutlich auf, welche Prozesse gerade in unserem Innern stattfinden. Diese Gefühle stehen oft im Widerspruch zum Verstand, der uns allgegenwärtig zu beherrschen versucht. Falls sich Kopfebene und Bauchgefühl einmal nicht im Einklang befinden, kann man grundsätzlich ausgehen, dass das Gefühl der relativen Wahrheit über das Befinden in diesem Moment näher ist als der Intellekt.
Eine Irritation auf der geistigen Ebene, die man auch als unbewusste Verstandes-Aktivität bezeichnen kann, wird zumeist mittels Emotion reflektiert. Diese ist natürlich leicht zu erkennen, da man sie spürt und etwas mit uns anstellt. Obwohl es wirklich simpel ist, sich hierzu typische Szenarien vorzustellen, die wir alle schon erlebt haben oder denen wir uns gerade stellen, möchte ich es doch anhand zweier Beispiele deutlich aufzeigen:
Es stehen politische Wahlen an. Du hast seither immer eine bestimmte Partei favorisiert, in letzter Zeit aber festgestellt, dass diese ganz und gar nicht mehr dem Anspruch genügt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Du hast aber vor, diese Partei wieder zu wählen mit dem Hoffnungsschimmer, dass sie es schon richten wird. Das Unbehagen nimmt langsam Fahrt auf, selbst wenn du versuchst, es mit allen Mitteln zu verdrängen.
Du hast dich in einen Menschen verliebt, bist ganz vernarrt in ihn und versuchst, dieser Emotion freien Lauf zu geben. Leider befindest du dich in der gegenwärtigen Situation, eine Familie zu haben, einen guten Partner und Kinder. Die bisherige, gewachsene Struktur tritt plötzlich gegen ein potentiell neues Beziehungsverhältnis an, das du beleben willst. Zwei Welten prallen aufeinander, deine Entscheidung wird zur Zerrreißprobe.
Kommen wir zur ersten Perspektive, sich als Beobachter zu üben, um dadurch eine entstandene Irritation auflösen zu können. Diesen Standpunkt vertreten viele geistigen Lehrer und Therapeuten. Es ist die Aufmerksamkeit auf das Gefühl, das als solches akzeptiert werden sollte. Tolle fügt hinzu, es auch nicht kontrollieren zu wollen, sondern es dem Gefühl zu statten, einfach da zu sein. Dadurch erhältst du die Rolle des Beobachters, bist nicht mehr die Emotion. Unter dieser Prämisse wirst du zur beobachtenden Präsenz und damit eröffnet sich die Möglichkeit, dich der unbewussten Identifikation deines Gefühls zu entziehen.
Die zweite Perspektive wird unter anderem von meinem Freund Krishi favorisiert. Diese besagt, erst gar keine Beobachterrolle einzunehmen, da sie uns von uns selbst trennt. Bei dieser Methode gehst du somit einen vollkommen anderen Weg. Du gehst in die Emotion, in das Gefühl direkt hinein, das dich gerade „befallen“, Besitz von dir ergriffen hat. Du bist die Emotion und bekommst damit die Möglichkeit, dich hierin verstandesfrei treiben zu lassen.
Beide Praktiken bieten die Chance, aus bestimmten Irritationen ausbrechen zu können mit der Erkenntnis, dass unser Verstand meist nicht in der Lage ist, diese zu lösen, sondern eher verschlimmert. Die Befreiung von Leid findet dann statt, wenn man es geschafft hat, sich nicht mehr mit seinem Verstand, seinem Ego zu identifizieren. Den entsprechenden Weg hierzu darf man selbst wählen, wobei es empfehlenswert ist, beide einfach einmal auszuprobieren.
Vielleicht gibt es ja noch andere Wege, als die zwei Aufgezeigten, wie es Bertold Brecht einmal formulierte, „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“ Und bei allem Tiefgründigen, dem man hinterherlechzt, sollte man nie außer Acht lassen, was schon Colette bemerkte, bevor es zu spät ist: „Was für ein herrliches Leben hatte ich! Ich wünschte nur, ich hätte es früher bemerkt.“