Gustav Klimt schuf ein Meisterwerk der Leidenschaft, ein in Gold getauchtes Paar, innig umschlungen, durch einen Kuss vereint. Ein Augenblick der Unendlichkeit, ein Monument der allseienden Ewigkeit. Nun, vielleicht mag ich etwas übertrieben haben mit dieser Ausdrucksweise. Wer sich aber auf dieses Gemälde einlässt und sich dem Dargebotenen öffnet, spürt diese unbändige Kraft, die von ihm ausgeht. Er nannte es „Der Kuss“ und dient meinem Einstieg in dieses Themengebäude.
Er hat Geschichte geschrieben, wurde benutzt, inszeniert, verklärt und in mannigfaltiger Weise eingesetzt- der Kuss. Es begann mit Adam und Eva als Sündenfall, Breschnew und Honecker als Bruderkuss, als Segens- oder Liebesbeweis, im Affekt der Freude oder im Akt der sinnlichen Vereinigung. Er bezeugte die Verliebtheit des Liebesgottes Amors mit einer Sterblichen, den Verrat Jesus durch Judas, die Mutterliebe zu ihrem Kinde und begleitet uns noch heute durch allerlei Leinwand-Märchen.
Die Wissenschaft beschreibt den Kuss als einen haptischen Wahrnehmungsprozess, welcher der Kommunikation dient. Im Mittelwert verbrennt er 6,4 Kalorien, aktiviert bis zu 34 Gesichtsmuskeln und regt ca. 100 Mrd. Neuronen an. Bei intensiverem Kuss werden viele Millionen Bakterien ausgetauscht, was dem Immunsystem zugutekommt. Hier sei noch angemerkt, dass sich gebärfreudige Frauen zumeist einen Partner „suchen“, dessen Immunsystem stark von ihrem unterscheidet. Ein Hoch auf die künstlichen Duftstoffe, die dazu führen, oftmals an den Falschen zu geraten. Für mich ein weiteres Erklärungsmodell für die irrsinnigsten Familien-Zusammenschlüsse, womöglich noch unter dem schwachmatischen Aspekt, „bis dass der Tod sie scheide“.
Aber kommen wir jetzt auf den Liebeskuss zu sprechen, mit dem sich auch die alten Griechen und Römer auseinandergesetzt haben. Im Lateinischen unterschied man drei Arten, den Freundschaftskuss „osculum“, den Zuneigungskuss „basium“ und den Leidenschaftskuss „suavium“. Bis zum heutigen Tage erlebt der Kuss ein ständiges Auf und Ab, wird mit Verboten belegt, sogar hart bestraft und erlangt erst nach der Renaissance die Akzeptanz in der westlichen Hemisphäre. In vielen anderen Kulturen und Ethnien wird Küssen verpönt, schmutzig oder abstoßend angesehen, in Asien oder Afrika wird selten geküsst.
In unserem Kulturkreis hat sich das Kuss-Verhalten in den letzten Jahren geändert. Es scheint so, als ob wir wieder in die Zeit der Christianisierung zurückgefallen wären, als der Kuss mit Sexualität gleichgesetzt wurde. In der Öffentlichkeit sieht man ihn kaum noch und falls doch einmal, kann mit juristischen Folgen gerechnet werden, aus den absurdesten Gründen.
Aber es gibt ihn noch, den Liebeskuss- und er ist immer von göttlicher Natur, da wir alle Unsterbliche sind. Und sei es die zarteste Versuchung, seit es den Menschen gibt oder der ekstatische Vulkan, der gerade ausbricht im Liebesakt. Gib dich ihm einfach hin und falls er etwas in Vergessenheit geraten ist, dann nähere dich ihm wieder, ganz zart und achtsam.
Der Lyriker Beisteiner brachte es seiner Zeit auf den Punkt, als er ein Gedicht über die Liebste schrieb: „Sie küsst mich - wie ein Neugeborenes, - wie ihr eigen,- ihr Fleisch und Blut. - Ihre Lippen - verwandeln sich - in die leisen Wellen - des roten Meeres, - wie sie hingebungsvoll - den Himmel küssen.“