JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse

Ist nicht alles eine Frage der individuellen Wertigkeit eines jeden Menschen? Einfacher ausgedrückt: „Was bin ich mir wirklich wert? Hierzu haben sich schon viele scheinbar bedeutsame Persönlichkeiten abgearbeitet, wie auch der von mir nicht unbedingt geschätzte Dalai Lama, der verlautbarte: „Als Mensch geboren zu sein, ist ein kostbares Privileg.“ Da gefällt mir der lose Spruch des bisherigen Trigema-Chefs Wolfgang Grupp wesentlich besser, der sich selbst ehrt und Qualität als den Maßstab aller Dinge predigt: „Alles, was ich nicht brauche, gibt es bei mir nicht. Und bei dem, was ich brauche, leiste ich mir das Beste.“
Für ein wohlbefindliches Leben sind eben nicht immer die hochtrabenden Ausdünstungen eloquenter Worthülsen-Jongleure hilfreich, bei denen man an den sorgsam gepuderten Lippen hängt. Oftmals weisen einem die scheinbaren Banalitäten den Weg, zufällig am Rande stehend. Sie sind nicht selten verhüllt oder an Stellen angebracht, an denen eine Rast angebracht wäre. Und tatsächlich, beim ungeplanten Innehalten, erscheinen sie und eröffnen uns zuweilen neue Einsichten.
Bei einem der selten aufgetretenen lichten Momente so geschehen auch bei mir im Jahr 2005: „Alles hat seine ganz eigentümliche Wertigkeit, und zwar exakt die, die wir ihr in diesem Moment beimessen, verleihen und zugestehen. Morgen kann sie vollkommen anders daherkommen als heute und gestern.“
Ein typisches Beispiel gefällig? Dazu fällt mir etwas ein, das man zu besonderen Anlässen gerne pflegt und hegt, häufig aber ins Absurde steigert, nämlich der Wunsch. Wenn man einmal von den ideellen Wünschen absieht, die ebenfalls in eine Sackgasse führen, bleiben die materiellen. Hierzu proklamieren die altindischen Veden: „Wünsche sind Gift. Wünsche verstehen es, sich einzuschmeicheln, machen uns vor, daß wir an Vergänglichem einen festen Halt finden und so glücklich werden. Der Preis, den wir dafür zahlen, ist, daß sich uns das Ewige und das wahre Glück entzieht.“
Diese Worte haben nicht die unbedingte Absicht, sich in unser Gewissen einzuschleimen, eher das Gegenteil davon. Noch einen kleinen Schritt weiter geht mein Freund Krishi, was ebenfalls nicht zur reinen Freude gereicht: „Wer an etwas hängt, weiß, daß es Leid mit sich bringen kann. Um davon frei zu werden, will man sich davor mit Loslassen schützen, um wiederum Befriedigung zu erfahren. Loslassen ist dasselbe, wie an etwas zu hängen, solange das zur Befriedigung führt. Verlangen ist ein loderndes Feuer, und was es verzehren kann, wird bald zu Asche. Aber das Verlangen nach Befriedigung bleibt und hört niemals auf.“
Ich wollte mit dem Thema „Loslassen“ jetzt kein neues Fass aufmachen, sondern die Wertigkeit des Begriffs „Wunsch“ intensiver beleuchten und damit deutlich darstellen, dass auch der Nicht-Wunsch seine Besonderheiten birgt.
Wer meinen Ausführungen bis hierher gefolgt ist und jetzt einen Hauch von Beklemmung verspürt, kann sich bestimmt auch in Rilkes Einsicht einfühlen, die da lautet: „Wir wissen wenig, aber dass wir uns zu Schwerem halten müssen, ist eine Sicherheit, die uns nicht verlassen wird. Es ist gut, einsam zu sein, denn Einsamkeit ist schwer; dass etwas schwer ist, muss uns ein Grund mehr sein, es zu tun.“
Ich hatte diese Äußerung viele Jahre in meiner Geldbörse als treuen Begleiter und hoffte auf dessen Manifestation in meinem Innersten. Und das hat tatsächlich geklappt, um mir ein beschwerliches Leben zu bereiten, wobei es mir damals wohl durchaus zu gut gegangen sein muss. Glücklicherweise habe ich mich inzwischen wunderbar von Rilkes „Einsicht“ gelöst, ihr damit eine andere Wertigkeit verliehen.
Seither trägt mich mehr die „Leichtigkeit des Seins“, wie ich es gerne umschreibe und bedarf, nach den Worten von Hermann Hesse, nur noch „meines liebenden Einverständnisses“.
Damit möchte ich das Jahr 2024 schon fast beschließen, dem Leben als Abenteuer-Spielplatz aber noch entsprechende Geltung zollen mit Ala Watts wunderbarer Umschreibung: „Wenn bei dir das Gefühl von Gewissheit verloren geht, besteht die Möglichkeit, die Weisheit deines ungesicherten Lebens zu entdecken.“