JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


Der Schweizer Autor Luc Bürgin fragte einmal scherzhaft in einem Untertitel seines Buches, ob es intelligentes Leben auf der Erde gäbe. Er zeigt in vielen Anekdoten auf, wie irrwitzig wir unser Leben gestalten ohne zu bemerken, dass wir selbst oftmals dabei die Hauptrolle spielen. Man kann davon ausgehen, dass diese Art von Literatur jede Bibliothek zum platzten bringt und therapeutisch dazu beiträgt, dass wir uns -innerlich lachend- befreien von der großen Last, die wir uns aufgebürdet haben. Ich habe das Büchlein weiterverschenkt, habe kaum noch Erinnerungen daran.
Eine Hypothese, die mir angenehm ist, fand einmal zu mir und schaffte es, eine Synapse auszubilden, die eine große Halbwertszeit zu haben scheint. Sie besagt, dass die Summe der Intelligenz auf unserer Erde immer die Gleiche ist, wobei die Bevölkerung wächst. Nie wurde es deutlicher als heute, wobei die Statistiken klar dokumentieren, dass unser IQ die letzte Zeit weltweit signifikant gesunken ist und diese Tendenz allem Anschein noch anhält.
Und die Rettung aus diesem Desaster kommt nicht von oben. Der Ruf „Herr, schmeiß Hirn vom Himmel“ wurde bislang nicht erhört. Und die Intention unserer wohlmeinenden Herrschaften aus Politik und den Medienhäusern sollte eher als Drohung aufgefasst werden nach dem Motto: „Man muß immer mit Leuten rechnen, auf die man nicht zählen kann!“ Ausgeschlagene Lebenshilfe dieser Klientel formulierte einmal ein Komiker in den 90-gern sehr treffend: „Schiebt euch euren Ratschlag dorthin, wo der Burger nach der Verdauung das Licht des Lebens erblickt". Ich glaube, dass dieser Tipp selbst manchen Veganer zum Schmunzeln bringt.
Aber bleiben wir beim Thema. Wir üben uns wohl hauptsächlich in der Leidenschaft des "Nichtschaffens" und in der Selbstverleugnung nach dem Motto „Eigentlich bin ich wer anders, komme aber grade nicht dazu.“ Oskar Wilde meinte einmal diesbezüglich, dass die meisten von uns eigentlich Pessimisten wären, die sich über den Krach beschwert, wenn eine Möglichkeit an ihre Tür klopft. Hinzu kommen die Bequemlichkeiten des Lebens, die unser Potential schwinden lassen.
Wer kann heute noch eine Landkarte lesen. Vor nicht allzu langer Zeit fand ein Experiment statt, bei dem Studenten mit dem PKW in München mittels Stadtkarte ein Gebäude innerhalb eines gewissen Zeitraumes finden sollten ohne digitale Hilfsmittel. Ergebnis: Sie waren total überfordert mit dieser Aufgabe. Wie ich vernommen habe, waren die Auswirkungen bei manchen Testpersonen einschneidend. Eine junge Frau war so frustriert, dass man sie bei einem Suizidversuch von den S-Bahngleisen retten musste. Ein männlicher Proband versuchte sein Glück später einmal zu Fuß, wobei er zu wenig Nahrung dabeihatte. Man fand ihn drei Tage später ziemlich verkümmert in der Fußgängerzone betteln. Aufgeben wollte er aber dennoch nicht- und ward seitdem nicht mehr gesehen.
Um den Scheinwerfer auch einmal auf mich zu richten, so ist davon auszugehen, dass auch ich nicht unfehlbar bin. Im wieder genüsslich die gleichen Fehler zu fabrizieren, davon unbeeindruckt und angstlos zu scheitern, schrieb ich schon vor Äonen ins Tagebuch: „Ich bin von meiner Unbeirrbarkeit beeindruckt, am Scheitern festzuhalten.“ Wobei ich nie so weit ging, mich von meinen gestrigen Aussagen zu distanzieren, sondern dazu zu stehen und weiterhin darum bemüht, zu versagen.
Aber, wie schon erwähnt, bin ich nicht alleine, wobei mir viele Dinge vollkommen bewusst sind. Wenn ich mich so umschaue, fehlt diese Eigenschaft den meisten, vor Allem vielen Intellektuellen, die wohl seit geraumer Zeit eine Gehirndiät erfolgreich hinter sich gebracht haben. Gunnar Kaiser formulierte es einmal ganz schroff: „Wir bräuchten Intellektuelle, deren natürlicher Lebensraum nicht der Enddarm der Regierenden ist.“ Und die beliebte Ausrede, der Wahrheit verpflichtet zu sein, dort aber keinen Parkplatz bekommen zu haben, zählt für mich nicht.
So kommt mir nur ein Spruch von Peter Handke bei einer Theater-Aufführung in Berlin in den Sinn, der sich vehement gehen gelebte Ignoranz und Dummheit auflehnte: „Machet Euch ungeschehen!“