JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


Anfang 2023 schrieb ich ein typisches Essay über „Der freie Wille“, damals noch unter dem Gesichtspunkt, dass dies als selbstverständlich anzusehen sei. Heute will ich etwas differenzierter darüber berichten, da es mir geboten scheint, den Nebel weiter zu lichten und Klarheit zu schaffen.
Neben der juristischen, theologischen und psychologischen Definition des freien Willens, geht es mir hier vor allen Dingen um die philosophische Betrachtungsweise, die teilweise inkongruent, sprich, im vollkommenen Gegensatz zur Gehirnforschung steht. Diese beiden Seiten sind mir bedeutsam genug, jetzt einmal näher darauf einzugehen. Die Frage des Determinismus oder Inkompatibilismus, ob alle Ereignisse, die geschehen, sowohl kausale Folge vorangegangener Ereignisse seien, als auch von diesen eindeutig bestimmt würden, möchte ich erst einmal zur Seite schieben, eventuell später einmal beleuchten.
Da ist also die moderne Gehirnforschung. Und die stellte fest, dass „manche Entscheidungen im Gehirn bereits getroffen werden, bevor die Person sich ihrer bewusst wird.“ Begonnen hat alles mit dem bekannten „Libet-Experiment“ Ende der 1970-er, wo man bewies, dass die Gehirnaktivität, die dazu führt, dass eine Person ihren Finger bewegt, etwa 550ms vor dem Moment der tatsächlichen, bewussten Entscheidung einsetzt. Später fand man heraus, dass man bis 200ms vor der Handlung diese unterbrechen könne, wobei selbst „Veto-Entscheidungen“ unbewusst getroffen werden.
1992 wurde experimentell nachgewiesen, dass Handlungen von außen gesteuert werden können, wobei die Probanden der Überzeugung waren, dass dies nicht der Fall gewesen wäre. 2013 zeigten dann Forschungsergebnisse, dass bei uns vier Sekunden vor Entscheidungsprozessen bestimmte Gehirnaktivitäten stattfinden. Vor Kurzem wollten Neurologen das relativieren, indem sie den Beweis erbrachten, dass es innerhalb dieser vier Sekunden doch die Möglichkeit bestehe, aktiv in den Entscheidungsprozess einzugreifen. Bei allem hin und her gab es aber einen gemeinsamen Nenner. Bei allen Entscheidungen gibt es einen PNR, „point of no return“, bei dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist.
Und jetzt kommen wir zur anderen Seite, wobei ich nicht betonen muss, wofür mein Herz schlägt. Diese Sichtweise zeigt auf, dass nicht wir die von außen Manipulierten sind, sondern allein unsere Wahrnehmung dafür verantwortlich ist, was tatsächlich geschieht. Die Verschmelzung von subjektiver Erfahrung mit uns selbst ist das Geheimnis. Hört sich wieder so simpel an und ist doch allmächtig in seiner Wirksamkeit, zeigt sie doch, dass Willensfreiheit keine Illusion ist, sondern gelebte Wirklichkeit.
Eigentlich ist die Frage, ob wir einen freien Willen haben, drittrangig, sobald wir erkennen, dass wir selbst die Welt sind, die wir gestalten, erleben, erfahren und in der wir interagieren. Sobald es keine Trennung zwischen innen und außen, Subjekt und Objekt mehr gibt, entspricht alles Handeln kosmischer Gesetzmäßigkeiten. Dabei spielt das „Nichthandeln“, das „reine Beobachten“, eine wesentliche Rolle, befreit von jeglicher Motivation. Und dort, ausschließlich dort findet kreative Schöpfung statt.
Jetzt obliegt es deiner Macht zu entscheiden, wie du mit „dem freien Willen“ umgehen willst. Ob du dich der Wissenschaft ergibst, alles dem Schicksal überlässt oder über den Tellerrand hinausblicken magst und versuchst, dich einmal im „Nichthandeln“ zu üben. Und egal, wie du dich auch immer entscheiden wirst, so besteht wohl doch die Möglichkeit, dass es ihn gibt, den „freien Willen“.