Schon „Nathan der Weise“ hatte es drauf und versuchte, Harmonie, Akzeptanz und Toleranz zu schaffen. Unter Zuhilfenahme der bekannten Ringparabel schaffte er es in Lessings Drama, den Sultan davon zu überzeugen, dass alle monotheistischen Weltreligionen, das Christentum, das Judentum und der Islam gleichwertig nebeneinander bestehen können.
In der Parabel geht es um einen goldenen Ring, den ein Vater an einen seiner drei Söhne vererben soll, damit dieser dann sein Erbe antreten kann. Da er alle gleichermaßen liebte, ließ er zwei identische Ringkopien anfertigen. Damit wurden alle Söhne gerecht beerbt und lagen damit nicht im Zwist um die Vorherrschaft.
Nun, mit diesem Gleichnis dokumentiert Nathan wohl seine Schläue gegenüber dem Sultan, die Folgen dieser Geschichte wären aber absehbar. Wie lange würden die drei Brüder in Frieden miteinander zusammenleben, wann das Gerangel um die Besitztümer eskaliert? Vor Allem gäbe es dort Streit, bei dem viele Köche den Brei verderben und nur einer das Zepter in der Hand halten darf.
Das ist auch bei den Weltreligionen der Fall, da jede glaubt, die Wahrheit zu besitzen. Wenn wir die Menschheitsgeschichte betrachten, dann erkennt man, dass Religionen zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen, welche heute wie gestern auf der Tagesordnung stehen. Mein Freund Krishi brachte es einmal auf den Punkt: „Religionen vereinen die Gesellschaft nicht. Nein, sie spalten sie!“ Deutlicher könnte selbst so ein Kleingeist wie ich das nicht formulieren.
Jetzt könnest du mich fragen, was ich dem Sultan erzählt hätte, um ihn auf meine Seite zu bringen. Das ist ganz einfach. Zu allererst hätte ich mich mit ihm vertraut gemacht, in seinem Umfeld geklärt, wie er tickt, was ihn bewegt, wie groß sein Toleranzfeld ist und welche Vorlieben er hat, welche Dinge ihm Freude bereiten. Vor allem aber, was er ablehnt oder nicht toleriert. Auf dieser Basis hätte ich das Gespräch gesucht, seine Tagesform erfühlt und dann unter den gegebenen Umständen „meine Geschichte“ aufgetischt.
Diese wäre dann so knackig, dass mir das Schicksal von Scheherazade wohl erspart geblieben wäre, die damals König Schahriyâr 1001 Nächte lang so in Atem hielt, dass er ihr Gnade gewährte. Davon abgesehen hätte sich so meine Probleme, ihm in dieser Zeit drei Kinder zu gebären, und meine Jungfräulichkeit hätte ich mir auch bewahrt.
War er denn jetzt weise, abgeklärt oder nur ein guter Stratege, unser Nathan? Und war sein Schreiberling gar ein Solcher, da er ja imstande war, dieses Drama zu schöpfen? Lessings letztes Werk jedenfalls entsprang dem Streit mit einem Pastor aus Hamburg, der verhinderte, dass sein Widersacher bestimmte Publikationen veröffentlichte. So schrieb Lessing dieses Drama, um seinen Vorstellungen öffentlichen Raum zu geben.
Etwas weiter hergeholt ist die Bibel-Erzählung aus dem 2. Buch der Könige um die 1000 v.u.Z., als Salomon über das Königreich Israel herrschte. Auch ihm wird Weisheit nachgesagt. Eines der einprägsamsten Begebenheiten handelt von zwei Frauen, die sich um einen Säugling streiten. Beide behaupten, die Mutter desselbigen zu sein. Als der König befielt, das Kind mittels Schwertes „entzweizuschneiden“, zeigt sich, wer die echte Mutter ist.
Dieses „Salomonische Urteil“ könnte man wahrlich als Scharfsinn und Klugheit bezeichnen. Das damalige Volk jedenfalls erkannte die Weisheit Gottes in ihm. Ich selbst sehe diese Abhandlungen, unabhängig ihres Wahrheitsgehaltes, aus einem anderen Blickwinkel, aus der Adlerperspektive. Für mich selbst ist Weisheit eine mächtige Begrifflichkeit, die viele Elemente beinhaltet und in sich vereint- aber davon später einmal.