Ich stelle mir oft vor, wie ein Wilder am Rande des Vulkans zu tanzen, wie Laotse gelassen auf dem Tiger zu reiten und mich im Ballsaal der schon in Schieflage befindlichen Titanic zu vergnügen. Diese Vorstellungen bergen eine spezielle Kraft in sich und zeigen mir auf, wo ich gerade stehe und von was ich mich leiten lasse.
Oftmals empfinde ich mich wie der Fels in der Brandung, dann wiederum wie ein Halbertrunkener, der gerade an den Strand gespült wird. Manchmal zelebriere ich den Gleichmut und schaffe es mühelos, den äußeren Einwirkungen mit liebendem Einverständnis zu begegnen. Dann wiederum übe ich mich in Selbstverschwendung und genieße unwegsames Gelände, nasche an fremden Früchten und verliere mich sehnsüchtig im Nebel.
Ich habe einmal vor Zeiten das Axiom aufgestellt, das die Summe aller unserer Süchte immer die gleiche ist. Soll bedeuten, dass es bei der Aufgabe einer Sucht zu einer Verlagerung oder neuen Sucht kommt, damit die Gleichung ausgeglichen ist. Um das zu verdeutlichen: Wenn ich das Rauchen aufgebe, verstärkt sich mein Hang zum Geschwindigkeitsrausch oder meine bisherige Affinität zum Spielen wird intensiviert oder ich finde zufällig etwas Neues, das mich begeistert.
Mit dieser Gewissheit wandle ich also durch die Lande, mal Spielball der Natur, mal allmächtig und meiner Authentizität bewusst. Dabei immer mit der Gewissheit, dass mich das Leben findet und ich so sein darf, wie ich bin.
Es ist wohl ähnlich, wie bei der Suche nach einem Buch mit der offenen Bereitschaft, sich leiten zu lassen. Ich stelle mir das bildhaft immer so vor, an Bücherwänden mit geschlossenen Augen gemächlich entlang zu wandeln und die Bücher dabei mit den Fingerspitzen zu berühren. Sobald es durch den Kontakt zu einer Resonanz kommt, verharre ich in dieser Position und lasse die Schwingung auf mich einwirken. Wenn ich mich dabei gut fühle, öffne ich die Augen und ergreife das Buch, das mich ausgewählt hat.
Es ist also nicht so, dass das Leben stattfindet, während ich nach ihm suche, sondern mich von ihm leiten lasse in gewisser Leichtig- und Gewahrsamkeit. Und dann walten in mir noch bestimmte Kräfte, denen ich manchmal ungezügelt freien Lauf lasse, wohl wissend, dass ich sie wieder einfangen muss, um mich nicht zu verlieren. Das ist dann nicht mehr dieses wundervolle „sich treiben lassen“, wie es Mark Twain einmal erwähnte, sondern mehr ein Sturm, begleitet mit Blitz und Donner. Dann verschlinge ich begierig die Torte auf einmal, stürze mich von der Klippe.
Bisher habe ich es immer geschafft, vor dem Zerschellen am Abgrund die Flügel auszubreiten und mich wieder in die oberen Sphären hinaufzuschwingen. Diese Extreme finden heute „leider?“ nicht mehr so häufig statt. Trotzdem lange ich zuweilen genüsslich auf die heiße Herdplatte, weil dies wohl ein Element ist, das mir eigen scheint. Es ist das Motte: „Ich bin alt genug, um es besser zu wissen und jung genug, um es trotzdem zu tun.“ Oder anders ausgedrückt: „Es geht im Leben nicht darum, wie viele Atemzüge man macht, sondern um die Momente, die einem den Atem rauben.“
Das belebe ich oder versuche es wenigstens. Dabei schwebt mir immer wieder der Film „Stadt der Engel“ aus dem Jahr 1998 vor Augen, bei dem Nicolas Cage als Engeldarsteller seine Unsterblichkeit aufgibt für die menschliche Liebe. Das ist einer dieser besonderen Filmstreifen aus der Traumfabrik, der mein Herz allzeit berührt.
Und so halte ich es, wie Kong Qiu es seinerzeit 450 v.u.Z schon erwähnte: „Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen.“ Das war übriges derjenige, dessen Anhänger dieses Zitat 100 Jahre nach Konfuzius Ableben in dessen Mund gelegt hatten.