JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse

Wir alle trachten eigentlich nach einem sinnvollen, gehaltvollen Leben in Frieden mit uns selbst und der Außenwelt. Dies gestaltet sich zuweilen schwierig, da uns die Umstände immer wieder dazu nötigen, das mühsam aufgebaute Gerüst, das wir uns gebastelt haben, einzureißen, um ein neues zu errichten, das wiederum nur auf wackligen Beinen steht.
Da ist zum einen unsere Vorstellung, wie man sich sein Leben gerne eingerichtet hätte und auf der anderen Seite das, was sich tatsächlich in der Realität abspielt. Unter diesem Gesichtspunkt ist Scheitern vorbestimmt. Natürlich schwirrt in uns allen die mehr oder weniger ausgeprägte Sichtweise eines lebenswerten Daseins hier auf Erden. Nur mit der Umsetzung hapert es enorm, zumal das Gerüst, wenn ich einmal bei diesem Bildnis bleibe, meist auf einem Fundament steht, das kaum größere Belastungen aushält.
Wenn man es zum x-ten Male geschafft hat, das Gerüst wieder einigermaßen aufzubauen, schleicht sich manchmal das untrügliche Gefühl ein, es einmal anders anzugehen, die Bestandteile des Fundaments zu verändern. Dann entsinnt man sich Einsteins Weisheit: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Etwas oder sich ändern heißt aber nicht, den sich eingestellten Istzustand mit Gewalt zu ersetzen oder revidieren, sondern im ersten Moment, sich über die Situation und sich klar zu werden. Es ist dieses Akzeptieren, sich einzugestehen, dass sich etwas eingestellt hat, das aus den bisherigen Geschehnissen und entsprechenden Ableitungen entstanden ist.
Oftmals ergeht es uns dabei wie Donnergott Thor, der bestimmte Dinge gewaltsam lösen wollte und letztendlich dabei immer strauchelte. Als er einmal, als gestandener Gott, nach einer misslungenen Aktion zufällig seiner alten Mutter Frigga begegnete und in Tränen zerfloss, nahm sie ihn in den Arm und flüstere im zart ins Ohr: „Jeder scheitert daran, zu sein, wer er sein sollte. Wir messen eine Person daran, wie gut es ihr gelingt, zu sein, wie sie wirklich ist.“ Diese Worte veranlassten Thor, seiner wahren Bestimmung nachzugehen.
Was ist denn jetzt unser Fundament, das uns trägt, wobei es von Vorteil wäre, wenn man den Sinn des Lebens kennen würde? Diese Frage darf sich jeder selbst stellen und beantworten, wobei ich zu bedenken geben möchte, dass die Wahrheit leichten Schrittes und in einfachem Gewande daherkommt.
Hierzu ein anschauliches Beispiel aus meinem Leben: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sich mein Standpunkt zum Thema „Glauben“ über die Jahre verändert hat. Als Kind aus einer katholisch geprägten Familie musste ich mich den damaligen Gegebenheiten fügen, wurde sogar Ministrant und diente einige Jahre der Kirche. Ich hatte dort schöne Erlebnisse, wobei mir aber trotzdem relativ schnell klar wurde, dass hier einiges faul war. Ich wunderte mich darüber, wie man einem Gott zu Füßen liegen konnte, der so gar nicht göttlich war und dass es da eine Hierarchie gab, vom räudigen Sünder bis zum Papst. Gar keinen Gefallen fand ich am Gedanken des Fegefeuers, zumal ich mich dort in meiner Vorstellung immer wieder schmoren sah.
So schmiedete ich schon in jungen Jahren zig Alternativen zum Christentum, schied an meinem 18. Geburtstag aus der Kirche aus und bastelte immer feinspinniger meine ureigene Heilslehre. Dort fanden sich auch mancherlei Elemente aus dem Taoismus und Buddhismus, zugeschnittene Reinkarnations-Abwandlungen und meine Interpretation der Entstehungsgeschichte des Lebens. Irgendwie sehr komplex, aber in sich stimmig, wobei sich dieses Glaubensgebilde immer weiter perfektionierte.
Zum Glück für die Menschheit entschied ich mich schon recht früh, meine Vorstellung darüber nicht nach außen zu tragen und forderte meine Diskutanten nur dazu auf, sich selbst ein Bild darüber zu machen, einfach alles zu hinterfragen. Dann kam der Moment, an dem ich mein mühsam zusammengebasteltes Konstrukt verwarf. Ich brauchte es fortan nicht mehr. Seitdem wandle ich leichtfüßig durch die Welt, habe alle geistigen Krücken losgelassen. Es fand damals eine Wandlung statt, die sich bis heute erhalten hat mit der Grundausrichtung, dass Spiritualität keine Gotteshäuser benötigt und auch keinen Hohepriester.
Aber kehren wir wieder zurück zur Ausgangssituation, bevor ich mich noch weiter verzettle. Da ist also die Frage, wie ich dem Leben begegne, wie ich mich ihm stelle, so, wie ich gerade bin und nicht so, wie ich gerne sein möchte, mit allen Konsequenzen. Dale Carnegie beschrieb es in drei Worten: „Akzeptiere das Unvermeidliche!“ Das hat Konsequenzen auf allen Ebenen, birgt Risiken, aber auch Chancen.
Dorothy Dix, die ihr Leben für das Heil Nervenkranker gab, fasste es in folgende Worte: „Ich beneide die Menschen nicht, denen erspart blieb, was ich durchmachte. Denn ich habe gelebt, sie dagegen haben nur existiert. Ich habe den Kelch des Lebens bis zum letzten Tropfen geleert, sie dagegen haben nur den Schaum an der Oberfläche geschlürft. Ich kenne Dinge, die sie niemals kennen werden. Ich sehe Dinge, für die sie blind sind. Nur Menschen, deren Augen von den Tränen saubergewaschen wurden, haben jenen weiten Blick, der sie zu barmherzigen Menschen für die ganze Welt macht. Ich bedaure nicht, soviel Not kennengelernt zu haben, denn dadurch spüre ich das Leben in jedem Augenblick, den ich lebe. Und das war den Preis wert, den ich dafür bezahlen musste.“
Es bedarf aber nicht immer eines schweren Schicksals für ein erfülltes Leben, sondern vor allem eine tiefsinnige Sichtweise, die uns prägt. Hierzu möchte ich nochmals Carnegie bemühen, der über unser selbstgeschaffenes Gefängnis philosophierte:
„Zwei Gefangene sehen durch das Gitter in die Ferne.
Der eine sieht nur Schmutz, der andere die Sterne.“