Nach meinem Beichtgang in der von mir so verehrten katholischen Sekte, sorry, Kirche wollte ich sagen, schritt ich frohen Mutes zur Tat. Der Seelenhirte empfahl mir nämlich, nachdem ich meine Sündenliste heruntergerasselt hatte, doch einmal meinen Freundeskreis zu erweitern. Er war der Meinung, dass es wohl an der Zeit für mich sei, einen Partner zu suchen nach all den Jahren der Enthaltsamkeit.
So grübelte ich kurz und kam zum Entschluss, Kontakt mit meiner Zukünftigen mittels Internet aufzunehmen. Vor Jahren hatte ich schon einmal einen Anlauf genommen über eine Kontaktanzeige in einer größeren Zeitung und hatte tatsächlich ein paar Zuschriften erhalten. Was sich mir da bot, war schon fast eine Frechheit: Plumpe Anmache, keine Fotos und nur vordergründiges Gesäusel. Nur weil ich zu viel von mir preisgegeben hatte, kann doch nicht der wahre Grund gewesen sein. Schwamm drüber- das ist Geschichte. Auf ein Neues!
Daheim angekommen, machte ich mich im Netz schlau, welche Singlebörse für einen Typen wie mich in Frage kommen könnte- und wurde fündig: „Club der einsamen Herzen“.
Das hörte sich gut an- dann nichts, wie ran. Etwas unbedarft für einen Gesellen wie mich, meldete ich mich dort an und mußte hierzu mein Profil eingeben. Dabei stellte sich mir die Frage alle Fragen, wieviel davon ist Dichtung, wieviel Wahrheit? Welche einschmeichelnden Lügen finden Resonanz beim Gegenüber und was sollte besser unter den Tisch fallen und sodann unbeobachtet unter den Teppich gekehrt werden?
Ich entschied mich für die harte Tour, sogar für die Knüppel-dicke. Ich habe meine Schattenseite, die sich gerne nach außen stülpt und gelebt werden möchte, zu der ich stehe. Und wenn mich jemand wirklich mögen sollte, dann hat er die zu ertragen, beziehungsweise zu tolerieren. Und so überzog ich sogar meine Unarten ganz bewusst mit der unterschwelligen Ahnung, damit nicht unbedingt jedermanns Darling zu sein.
Hier ein paar eindrückliche Eigenschaften meiner Selbst, die ich zum Besten gab: Großmuftig, dröge, untersetzt, eintönig, linientreu ergeben, politik-hörig, fressgierig, eigenbrötlerisch, BILD-fanatisch, materialistisch und etwas verbraucht.
Und dann wartete ich ab, etwas ängstlich ob des Widerhalls, der da kommen möge- oder auch nicht. Nach zwei Wochen wagte ich mich wieder auf die Dating-Plattform, wählte mich ein und war erstaunt. Da hatte doch tatsächlich jemand angebissen, trotz all diesen Untugenden und Unhübschichkeiten, die ich von mir gegeben hatte. Und dieser Jemand hatte einen Namen, den ich jetzt nicht veröffentlichen möchte, vielleicht nur das Pseudonym „Angie“.
Und Angie wollte sich mit mir treffen, nicht morgen oder etwa übermorgen. Nein, sofort. Und so machten wir einen Termin aus, bei dem wir uns örtlich in der Mitte treffen wollten an einem neutralen Ort. Es sollte schon übermorgen soweit sein.
Als dann der Tag der Begegnung anbrach, schien die Sonne. Es sah so aus, als wenn der Wettergott es gut mit mir meinte für die Anreise. Es folgte die Frage, wie ich mich für das bevorstehende Rendezvous kleiden sollte, was mich fast in Verlegenheit brachte. Wenn ich mich zu ästhetisch anziehen würde, könnte man dies falsch interpretieren, womöglich könnte man sogar vermuten, dass Geld für mich keine große Rolle spielen würde. Also rein in die Alltags-Klamotten, die ich schon ein paar Tage getragen hatte. Relativ sauber waren sie ja noch, vorausgesetzt, man würde sie nicht mit Argusaugen untersuchen. Groß rasieren schien mir auch nicht angebracht. Nur meine ausgebeulten Wanderstiefel wollten noch grob gereinigt werden und schimmerten danach fast wie neu. Und um dann doch irgendwie den Schein zu wahren, kramte ich meine schon lange vermissten Hosenträger aus dem Schrank neben meinem „Bettchen“, um zu vermeiden, dass mir versehentlich die Hose rutscht.
Dies ist mir vor Kurzem tatsächlich widerfahren bei einem Spaziergang im Park. Gerade, als mir ein älteres Paar entgegenkam, geschah mir das Missgeschick und ich stand unerwartet, auch für mich, „blank“ vor ihnen. Um einer Anzeige wegen Exhibitionismus zu entgehen, zahlte ich denen bereitwillig einen mittleren dreistelligen Geldbetrag cash, um mich dann etwas verstört davonzustehlen. Aber lassen wir das.
Gut gerüstet fuhr ich mit dem besten Auto, einem etwas in die Jahre gekommenen Dacia, in Richtung meiner neuen Flamme. Dieses Vehikel sah wohl etwas mitgenommen aus, hatte schon einige Kontakte, sprich Anbändeligungen hinter sich, war aber fast immer wohlauf und brachte mich wohlbehalten schon einmal über 100 km ohne Zwangsunterbrechung ans Ziel. Vorsorglich war ich treues Mitglied einiger Autoclubs, die ich von Zeit zu Zeit redlich zu nutzen wusste. Aber ich komme schon wieder ab vom Thema.
Wohlbehalten traf ich am Zielort ein, parkte den Wagen ein paar Ecken entfernt vom Café, dem Ort der Zweisamkeit und brach auf in den Kampf. Schweißgetränkt und ohne Arsch in der Hose machte ich mich auf den Weg, war noch in der Zeit. Je näher ich dem Ziel kam, desto beklommener fühlte ich mich. Mein Herz raste förmlich vor Unsicher- und Verlegenheit.
Mich dahinschleppend und eingepfercht in rasende Gedanken erreichte ich das Café. Sollte ich es wirklich wagen oder wäre Flucht nicht die bessere Alternative? Todesmutig setzte ich alles auf eine Karte und öffnete die Tür. Mit dem Blick wild umherstreifend, fand ich sie dort am Fenster, den Rücken mir zugewandt. Ich ging schweren Schrittes auf sie zu, begrüßte sie förmlich und setzte mich auf den schmucken Stuhl ihr gegenüber. Wir schauten einander in die Augen und es war um uns geschehen.