Es war Anfang der 80-er, als Fernsehen noch einen etwas anderen Stellenwert hatte als heute und manche Ausstrahlungen als ein Art verbindendes Familien-Erlebnis gemeinsam zelebriert wurde. In diese nostalgische Gefühlswelt, die natürlich auch ihre Spuren bei mir hinterlassen hat, möchte ich eigentlich nicht näher eintauchen. Ich möchte auf etwas anderes hinaus, nämlich, dass es Sendungen gab, die einen hohen Unterhaltungswert hatten und an die ich mich immer noch erinnere.
Eine Sparte davon handelte von ahnungslosen Menschen, die in eine Falle gelockt wurden mit versteckten Kameras. Während sich das gemeine Volk an „Verstehen Sie Spaß?“ mit Kurt Felix in den Öffentlich-Rechtlichen ergötzten, langweilte mich dieses harmlose Vorführen von irgendwelchen unbekannten oder prominenten Leuten relativ schnell. Erst als in den privaten Sendern Alternativen gezeigt wurden, die mehr Schmackes hatten, erfreute ich mich damals daran.
Wenn ich jetzt zurückversetze in dieses Zeitfenster, war ich wohl auch den Niederungen ergeben, mich über Missgeschicke und Verunglimpfungen anderer amüsiert zu haben. Eine wahre Untugend, die ich in diesem Ausmaße heute nicht mehr zelebriere- und falls doch, dann ohne bei jemanden, den ich mag, zu großen Schaden zu verursachen.
Aber lass mich zurückkommen auf einen dieser besonderen Kurzfilme, der so prägnant war, dass ich ihn noch heute detailliert in meinem geistigen Auge sehe. Er war zudem so drastisch, dass er heute wohl niemals mehr aufgenommen, geschweige denn, ungestraft gezeigt werden dürfte:
Ein exquisites Hotel der gehobenen Klasse in einer Großstadt. Ein neuer Gast, gut gekleidet, freundlich und so Mitte 30, checkt bei der Rezeption ein. Er hatte dort zwei Nächte per Telefon gebucht und outet sich gesprächig als Geschäftsmann, der in der Gegend zu tun hat. Nach den üblichen Anmelde-Formalien wird im ein verblüffendes Angebot offeriert.
Er habe die einmalige Chance, ein exquisites Angebot des Hauses anzunehmen, nämlich die eines Kompakt-Italienischkurses während seines Aufenthaltes im Hotel. Diese seriöse Offerte wäre eine Art Testlauf, um zu eruieren, wie man sich zukünftig eventuell vom Wettbewerb abgrenzen könnte und sei selbstverständlich kostenneutral für ihn. Dabei würde er abends zu einem abgesprochenen Zeitpunkt in seinem Zimmer für jeweils 1,5 Stunden seinen Sprachlehrer empfangen. Der Gast willigte neugierig ein und machte für den heutigen Abend einen Termin um 20 Uhr aus.
Punkt 20 Uhr klopft es an seiner Zimmertür, die er öffnet und eine hübsche, junge Dame betritt den Raum. Nach ihrem äußeren Erscheinungsbild handelt es sich um eine quirlige, adrette Italienerin, die sich wohl erhofft, mit diesem Kursangebot des Hotels etwas dazuverdienen zu können.
Beide nehmen gemütlich auf der Coach Platz. Sie kramt ein paar Unterlagen heraus und beginnt den „Unterricht“ mit Grundsätzlichem, wie der Begrüßung und erstem, einfachen Wortwechsel auf Italienisch. Selbstverständlich verläuft diese Begegnung nicht steril, löst sich etwas nach kurzer Vorstellung. Man lacht sogar und kommt sich etwas näher, prostet sich mit Rotwein aus dem Kühlschrank zu.
Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Zwei gefährlich anmutende Männer dringen in das Zimmer ein und bauen sich bedrohlich vor der Kursleiterin und dem Hotelgast auf, die vor Schreck erstarren. Kein Wort fällt. Dann poltert ein älterer Herr herein, aufgeplustert mit hochrotem Gesicht und bleibt vor den beiden auf der Coach stehen. Wutendbrand stellt er die junge Dame zur Rede, was sie hier mache. Es ist ihr Herr Papa, der ihr jetzt die Leviten liest, da es in ihren Kreisen nicht üblich ist, dass sich eine unverheiratete Tochter eigenmächtig einen Mann angelt. Es geht um die Familienehre und um die gebräuchlichen, italienischen Sitten.
Der Hotelgast und die italienische Kursleiterin sitzen immer noch zusammengekauert auf der Couch und erwarten das Schlimmste, als plötzlich eine weitere Person das Zimmer betritt. Dabei handelt es sich augenscheinlich um einen Priester in schwarzer Kutte und Bibel in der Hand. Augenblicklich löst sich der Rauch im Raum auf. Man spürt, wie sich die Energie verändert und bedrohende Ausdrucksform des Vaters verkehrt. Wie auf Knopfdruck steht er unversehens da mit einem erleichterte Lächeln im Gesicht, eine Lösung für das Dilemma wohl greifbar nahe.
Unverblümt offenbart der noch bis vor Kurzem nicht zu bändigende und zornige Vater dem Hotelgast, welcher halb-wimmernd und mit einem Kissen schützend in der Couch versunken dasitzt, seine Vorstellung über das jetzt Anstehende. Er gibt nur eine Möglichkeit, die Ehre der Familie wieder herzustellen: Die sofortige Heirat der beiden. Damit tritt der Vater der fast in Ungnade Gefallenen etwas zur Seite, damit der Priester dem zukünftigen Paar seinen Segen geben kann. Verdutzt über dieses „Angebot“ und bevor der Hotelgast gezwungenermaßen einwilligt, löst sich das Spektakel.
Alle Beteiligten fallen sich lachend in die Arme, bezeugt von ihrem professionellen Auftritt, bis auch der völlig verdutzte Hotelgast endlich merkt, dass er hereingelegt wurde. Noch in Schockstarre steht er unsicher auf. Er lässt sich anstecken von den anderen, tanzt mit ihnen, um seinen Adrenalinspiegel abzubauen. So sieht ein Überlebender aus.