JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


Darüber stritten sich schon die alten Götter in der Antike und fanden keinen Konsens. Für die einen war sie sterblich, für die anderen unsterblich, für die einen war sie ein Bestandteil des Körpers, für die anderen außerhalb angesiedelt. Und die Bandbreite über die Beschaffenheit ging vom grob- bis zum feinstofflichen. Erst mit Beginn des Monotheismus lichtete sich der Nebel etwas. Denn dort hauchte Gott den Atem des Lebens in uns hinein.
Seit der Abnabelung der Wissenschaft von der Religion wird aber versucht, zu widerlegen, dass es überhaupt eine Seele gibt, und falls sie doch existieren sollte, dann muss sie auch messbar sein. Hierzu gibt es unzählige Versuche, wobei diese nur tröpfchenweise an die Öffentlichkeit dringen.
Einer der bekanntesten Versuche ist der des amerikanischen Arztes MacDougall aus dem Jahr 1902, der feststellte, dass es beim Tod eines Menschen zu einer Gewichtsreduktion zwischen 8 und 35 Gramm kommt, im Durchschnitt 21 Gramm. Diese Gewichtsdifferenz gab es bei vergleichenden Studien bei Tieren nicht. Natürlich darf man solche Experimente in Frage stellen, muss aber davon ausgehen, dass der Wahrheitsgehalt nicht wirklich präzisiert werden kann.
Ein anderes Theorem basiert auf dem Biozentrismus, der allem „Lebendigen“ einen ethischen Eigenwert zuordnet und deshalb, je nach Ausrichtung verschiedentlich gewichtet, Allem eine Seele zuschreibt. Robert Lanza war hiervon der Vorreiter. Er postulierte, dass das Leben und die Biologie wesentlich für das Sein, die Realität und den Kosmos sind und kommt zum Schluss: „Das Bewusstsein hat das Universum erschafft, nicht umgekehrt!“ Hiervon gibt es ebenfalls mannigfaltige Gedankenexperimente, wie der umfallende Baum in einem Wald, der kein Geräusch verursacht, wenn niemand zugegen ist. Aber das ist eine andere Baustelle, die ich jetzt nicht weiter beleuchten will.
Die grundsätzliche Beantwortung, ob es eine überhaupt eine Seele gibt und falls ja, in welcher Form und Ausführung, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Das Spannende dabei ist, wenn man sich damit auseinandersetzt, dass die Erkenntnis hierzu reift, wie eine Frucht. Wenn der Samen auf nahrhaften Boden fällt und achtsam gegossen wird, besteht die Chance, dass eine Pflanze entsteht und sich irgendwann selbsterklärend zeigt. Wobei anfangs noch völlig offen sein darf, welche Art von Frucht überhaupt erscheint und sich diese während des Wachstums vollkommen verändern kann. Es ist eine Art Metamorphose, wundervoll erlebbar in der Transformation, bei der sich eine kleine Raupe in ein geflügeltes Kunstwerk verwandelt.
So sei es jedem selbst überlassen, welche Gewichtung man den 21 Gramm gibt, welche Farbe man der Seele zuspricht, wo man sie verortet oder ob man ihre Existenz negiert. Ein Mittelweg hierzu scheint aber auch nicht angebracht zu sein. Sonst geschieht es dir wie einem Bekannten von mir vor Kurzem, der auf einer großen Wiese genau gegen einen Baum lief und dabei zu Boden ging. Auf meine Frage, warum er nicht an ihm vorbeigegangen wäre, erwiderte er: „Ich wollte den mittleren Weg nehmen.“