JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


Lasst uns einmal über die Leidenschaft sprechen und zwar nicht unter dem Aspekt der puren Emotionen oder des Enthusiasmus, des affektiven Handelns. Ich möchte die Ableitung dieses Begriffes auch nicht in Zusammenhang mit „Leiden“ betrachten, sondern in einem vollkommen anderen Kontext darstellen, nämlich unter dem Gesichtspunkt eines Bewusstseins-Zustandes.
Tiefe Leidenschaft geht einher mit vollständigem Loslassen, loslassen von jeglichem, persönlichem Interesse, Status, Ehrbarkeit, Macht oder Prestige. Es geht um die reine Flamme der Leidenschaft, die keine Ursache hat. Und sie geht Hand in Hand mit der Intensität vollkommener Aufmerksamkeit.
Die Fixierung auf etwas Bestimmtes hingegen schafft Leid, da dies zu Widersprüchlichkeiten und Konflikten führen kann. So kann auch die Schönheit von Dingen wie Gemälden, dem Sonnenuntergang oder einer menschlichen Gestalt unterschiedlich wahrgenommen werden. Erst, wenn die Schönheit über das Denken und Fühlen hinausgeht, beginnt die wahre Leidenschaft.
Sie ist ein Seinszustand mit starker Empfindungsfähigkeit und Empfänglichkeit für Alles, was sich einem zeigt. Für das Elend, die Armut und den Schmutz, genauso, wie für das Rauschen des Baches oder die Anmut eines Baumes. Was für ein reduziertes Leben für denjenigen, der nicht dazu in der Lage ist, sich dem Leben intensiv hinzugeben.
Und sie ist fester Bestandteil der Liebe. Denn, was wäre Liebe ohne Leidenschaft? Somit ist Leidenschaft eine Gabe, etwas Besonderes, Kostbares und sollte nicht gefürchtet oder geächtet werden, wie es vielerorts von bestimmten Lehren gepredigt wird. Man solle sich sogar davon befreien, was bestimmt auf Missverständnissen durch die unterschiedliche Definition des Wortes beruht.
Wie kommt man denn jetzt zur Leidenschaft, zumal sie uns von unserer Gesellschaft zumeist ausgetrieben wurde. Eines der Bausteine, die dazu führen können, ist ein aufgeschlossener Geist, ein forschender, suchender, schauender und fragender Geist. Einer, der sich an Dinge herantastet, Hindernisse aus dem Weg räumt und keiner Tradition unterliegt. Er hat keine feste Meinung, glaubt auch nicht, etwas erreicht zu haben, ist immer auf dem Weg.
Wer noch nicht soweit ist, muss vor allem seine Kleingeistigkeit als solche begreifen, sie akzeptieren. Und diese Wahrnehmung führt direkt zu Leidenschaft. Wer in jungen Jahren schon einmal in diesem Zustand war und sie verloren hat, dann besteht die Möglichkeit, diese wieder zu beleben, aber immer unter dem Aspekt der Grundlosigkeit.
Unsere Philosophen stritten sich über die Leidenschaft Jahrhunderte lang bis in die heutige Ära, verdammten, hofierten, romantisierten oder zweckbestimmten sie. Ich vertrete die Meinung, dass Leidenschaft fester Bestandteil eines bewussten lebenswerten Daseins ist. Wer in diesem Zustand verweilt, muss keinen Jungbrunnen zur Verjüngung seiner Selbst mehr suchen, da er selbst einer ist.