Anfang 2025: Erzählung einer Frau in einer überregionalen Zeitung. Etwas neutralisiert, damit deren Herkunft nicht erkennbar ist.
Ich bin eine ältere Dame und lebe wohl im letzten Quartal meines Lebens. Als Kind habe die Auswirkungen des letzten Weltkrieges miterlebt und den Wiederaufbau Deutschlands. Nach Eheschließung gebar ich drei Kinder und erfreue mich heute meiner Enkel. Mein wichtigstes Anliegen ist, dass wir uns an unsere Wurzeln erinnern und von unseren Fehlern lernen. Deshalb liegt es mir persönlich sehr am Herzen, alle Strömungen von „Rechts“ zu erkennen und aufzuhalten, soweit es in meiner Macht steht. Dafür gehe ich auch tapfer auf die Straße und kämpfe mit meinen Mitstreitern für ein lebenswertes Zuhause.
Wenn Mimi mich anruft, dann weiß ich, dass ich mich warm anziehen, mein Plakat aus der Besenkammer holen und mich reisefertig machen muss. Dann treffen wir uns meist mit Bekannten und fahren im Pulk gemeinsam zur Demo. Um was es da konkret geht, ist mir nicht immer bekannt und manches verstehe ich auch nicht so ganz. Aber, da vertraue ich auf meine Mit-Demonstranten. Vor Ort werden dann noch meist die Verhaltensregeln besprochen, aber die hab ich schon lange intus.
Das Wichtigste dabei ist, immer im Pulk zu bleiben und auf keinerlei Fragen von Passanten oder Leuten mit Mikrofon zu antworten. Die hätten nicht immer Gutes mit einem vor und würden einen bestimmt in eine Ecke drängen, wenn man mal was Falsches gesagt hat.
Ja, und so war ich schon auf einigen Veranstaltungen und bin da immer kräftig mitmarschiert, wie es halt meine Beine so zugelassen haben. Auf welchen Demos im Einzelnen ich bisher war, weiß ich nicht mehr genau, aber an ein paar kann ich mich noch gut erinnern:
Es begann inmitten der Merkel-Ära, als wir glücklicherweise unsere Grenzen für die armen Flüchtlinge öffneten und die Rechtsradikalen glaubten, sie müssten dagegen demonstrieren. Da begann meine Karriere als Demonstrantin gegen „Rechts“. Und seitdem war ich viel unterwegs, habe immer fleißig mein Schild „Nazis raus“ hochgehoben und bin damit durch die Straßen gewandelt.
Gut, damals ging es nur um die Asylanten. Heute hat sich das Spektrum weit geöffnet, da die Rechten ihre Finger fast überall drin haben.
Im Jahr 2017 gab es einen Weckruf. In Ostdeutschland hatten sich schon zwölf Wolfsrudel mit über 100 Tieren angesiedelt- und die sind eine echte Gefahr für uns. Ganz klar, wer dahintersteckte. Wir waren damals nicht so viele auf der Demo gegen „Rechts“, aber das störte mich wenig. Im gleichen Jahr suchte uns das Sturmtief Xavier auf. Ich weiß noch, wie schnell wir uns auf den Weg gemacht haben, um den Mit-Verantwortlichen den Finger zu zeigen, da felsenfest klar war, dass diese Brut mit im Spiel war, damit es überhaupt so weit kommen konnte.
Anfang 2018 dann der Diesel-Skandal. Da brachten wir schon eine ganze Menge auf die Straße, da es wohl ohne Zweifel feststand, wer an dieser Misere beteiligt war. Die Übertäter sollten hinter Schloss und Riegel und das konnten nur die einen sein. Zu diesem Zeitpunkt erneuerte ich mein „Nazis raus“-Schild, da es schon sehr mitgenommen war. Mitte 2018 brach auf einer hawaiianischen Insel der Vulkan Kilaueaaus aus, was zur Flucht tausender Anwohner führte. Dazu kamen noch die Lavaströme, welche viele Häuser zerstörten. Das nutzten die Rechtsradikalen gnadenlos aus und versuchten, dort mehr politischen Einfluss zu gewinnen. Unsere Demo fand dann auch in Krefeld statt in der Nähe des Kaiser Wilhelm Museums, um unseren Unmut über die Zustände in Hawaii kundzutun.
Im März 2019 setzten wir uns zu den „Fridays for Future“-Schülern in Hamburg auf die Autobahn, da es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass die Neonazis die Hauptverursacher der Klima-Katastrophe sind und alle AKW´s und Kohlekraftwerke weiter betreiben wollen. Im Anschluss ging ich noch in die Sankt Michaelis-Kirche und erfüllte mir damit einen meiner sehnlichsten Wünsche. Dort ist die größte Kirchturmuhr Deutschlands. Ende 2019 November wurde in Sachsen Frank Müller-Rosentritt als FDP-Vorsitzender bestätigt. In welch schlimmen Zeiten wir doch leben, dass dies ungesühnt geschehen konnte. Wir jedenfalls waren vor Ort und zeigten damit, dass dieser Rechtsruck einfach nicht hinnehmbar ist.
Über das Jahr 2020 muss nicht viel gesagt werden. Es ist ja hinsichtlich bekannt, wer da seine Finger bei Corina im Spiel hatte und wir deshalb auf einigen Demos gegen „Rechts“ waren. Einmal nahm ich die Gelegenheit wahr, mit dem Bus ins feindliche Gebiet nach Dresden zu fahren. Seltsamerweise gab es dorthin eine längere Pause, in der die Gelegenheit wahrgenommen werden konnte, sich Heizdecken eigen zu machen. Begeistert von diesem vertrauenswürdigen Herrn kaufte ich ihm gleich drei ab, da er mir dafür 2% Rabatt gewährte. Meine Kinder waren über meine Investition nicht so richtig amüsiert, Umtausch war aber ausgeschlossen, da der Bus nicht mehr auffindbar war- oder so.
2021 war nicht so ereignisreich. Von dort ist mir nur noch in Erinnerung, dass das deutsche Kriegsschiff „Bayern“ in den indopazifischen Ozean aufgebrochen ist. Dieses Kriegsgelüst konnte ganz klar nur von einer Seite befeuert werden und in diese Zeit möchte ich nicht mehr zurück. Also auf nach Konstanz, da die Fahrt dort begann, Schild ausgepackt und ab auf die Straße.
Im Jahr 2022 war schon mehr los. Ganz besonders fand ich unsere Demo beim Eurovision Song Contest, bei dem seltsamerweise die Ukraine gewann. Wer das eingefädelt hat, muss wohl nicht groß erklärt werden. Die Zuschauer waren jedenfalls begeistert von unserer Demo, und fast hätten wir es sogar geschafft, auf die Tribüne zu kommen. Ach ja, da war noch was mit einer Sprengung von Gasturbinen durch Putin, was uns Gleichgesinnten auf die Palme brachte und dazu führte, eine der größten Demos gegen „Rechts“ zu organisieren, die dann aus unerfindlichen Gründen leider dann doch nicht stattfand.
Das Wort des Jahres 2023 war „Remigration“, das Unwort „Krisenmodus“. Oder verwechsle ich das gerade? Na, jedenfalls befinden wir uns in einer Krise sonders gleichen. Die Wirtschaft steht am Abgrund, die Strompreise haushoch und beim Einkauf im Supermarkt – was das wohl soll mit dem Super?- kommen mir die Tränen vor Wut. Das alles haben uns die Rechten eingebrockt und die geben jetzt die Schuld den Regierenden. So waren die Demos gegen „Rechts“ auch gut besucht. Angefangen beim Nato-Beitritt von Finnland im April, über die Pride-Parade in Istanbul im Juni, dann der unsägliche Börsengang von Birkenstock und dem Höhepunkt von Argentiniens neuem Präsident Javier Milei, dessen erste Amtshandlung die Privatisierung des Panamakanals war. Ja, es war ein gutes Demo-Jahr, bei dem wir denen gezeigt haben, was wir von ihnen halten.
Das Jahr 2024 leitete eine leichte Wendung ein, als ich auf der Demo in Frankfurt gegen die „Olympischen Spiele in Paris“ war und ich mich dort plötzlich in einer Gruppe lauter tollen Menschen befand, die mit mir grölend durch die Straßen zogen. Die luden mich dann auch ein zu einer ihrer Veranstaltungen mit der ausdrücklichen Bitte, auch mein Schild „Nazis raus“ mitzubringen. Das war dann im September. Dort fand ich viele Gleichgesinnte vor und schätzte mich unendlich glücklich, neue Freunde gefunden zu haben. Freunde, mit denen ich zukünftig durch die Lande ziehen wollte und dann auch zog.
Gut, meine bisherigen Freunde nahmen komischerweise größtenteils Abschied von mir und gingen weiterhin auf äußerst dubiose Demos, wie mir das heute klar wie Fleischbrühe ist, aber meine Neuen tragen mich auf Händen. Die sind auch größtenteils gut organisiert, irgendetwas mit AF- oder so.