JOeys Tafelrunde
Eigen- und Fremderkenntnisse


In letzter Zeit wurde ich immer mal wieder mit einem Spruch konfrontiert, den ich so nicht einfach im Raum stehen lassen kann und möchte (wie so Vieles!): „Man sollte sich immer auf Augenhöhe begegnen.“ oder „Man sollte auf Augenhöhe mit dem Gegenüber sein.“ Ja, das hört sich so simpel. Es stellt sich mir die grundsätzliche Frage, ob man sich überhaupt auf Augenhöhe begegnen kann oder nicht.
„Augenhöhe“ heißt, auf gleicher geistiger oder mentaler Ebene. Gibt es diese Ebene überhaupt im normalen Leben, und bleiben wir jetzt einmal nur bei der Beziehungsebene zwischen zwei Menschen (Allein schon „zwischen“ teilt.).
Steigen wir einmal ein: Da begegnen sich zwei Menschen, Bekannte, Freunde, Liebende oder Eheleute. Diese Zwei sind verankert in ihrem jeweiligen Umfeld, haben ihre Verpflichtungen, Lebensverhältnisse, ihre kleineren und größeren Alltagssorgen, ihre Tätigkeitsfelder, beruflich und privat, ihre Wünsche, Ängste, Laster und Verbindlichkeiten. Alles variable Größen, alles ständig im Wandel und Umbruch. Da ist eigentlich niemals Konstanz, keine gleichbleibende wabernde Masse.
Es sei denn, einer der beiden oder beide frönen in Sicherheitsbewusstsein, habe alle Schäfchen im trockenen und haben sich mit dem Alltag als solches abgefunden, finden es sogar toll, ihre Unbeschwertheit in Zeiten des Sturms zu genießen, oder mit Drogen zu verhüllen. Denn selig sind die geistig Armen, oder wie es Rosa Luxemburg einmal gesagt haben soll: „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!“
So gehe ich davon aus, dass, wenn sich zwei Menschen begegnen, diese Augenhöhe eigentlich nie da ist, nie da sein kann. Diese Augenhöhe kann temporär wohl hergestellt werden und ist ein bewusster Akt bei Menschen, die dazu gerade bereit sind, „ja“ einander zu sagen in dieser temporären Begegnung. Aber- halt nur in diesem Zeitfenster, das künstlich oder natürlich geschaffen wird.
Auf einem anderen Level gibt es sie aber, die „Begegnung auf Augenhöhe“, und zwar, wenn sich zwei Individuen begegnen, beide vollkommen autark, stark und unabhängig. Und wenn diese aufeinandertreffen, dann kann eine wahrhafte Beziehung entstehen, wobei beide Individuen niemals ihre Identität aufgeben, sich leben können, wie bisher im Einverständnis der gegenseitigen Freiheit.
Abschließend möchte ich noch Herrn Saint-Exupery zu Wort kommen lassen, der verlautbarte, wie ich es verstanden haben, dass man Menschen in Würde begegnen darf, wenngleich es diese Augenhöhe nicht immer bedarf. Es sagte: „Wir haben nicht das Recht, etwas zu sagen oder zu tun, das den anderen in seinen eigenen Augen erniedrigt. Wichtig ist nicht, was wir von ihm denken, sondern was er von sich denkt. Einen Menschen in seiner Würde zu verletzen ist ein Verbrechen.“